Viele Unternehmen haben eine schriftlich formulierte Unternehmenskultur, ein Mitarbeiter-Handbuch oder Unternehmensleitlinien.
Oft dümpeln diese Pamphlete irgendwo in einem Ordner, kaum ein Kollege weiß überhaupt, dass es sie gibt und falls doch – braucht es nicht selten einen Philosophie-Abschluss, um sie zu verstehen. Im schlimmsten Fall hängen sie als Hochglanz-Poster im Besprechungszimmer und werden mit zynischen Bemerkungen kommentiert. Das ist schade, denn richtig formuliert und gut kommuniziert können sie einen echten Mehrwert darstellen, z.B. neuen Mitarbeiter einen verbindlichen Rahmen und Orientierung bieten, was in dieser ganz speziellen Kultur relevant ist und was nicht.
Dies ist nicht so ohne weiteres ersichtlich. Die Kultur eines Unternehmens kann man nicht direkt wahrnehmen. Sie ist eher ein Schatten dessen, was da täglich im Unternehmen passiert und was nicht. Sie ist auch eine Art kollektives Gedächtnis, in dem die Geschichte (und Geschichten) des Unternehmens gespeichert ist und damit unterschwellig als Verhaltensleitlinie dient: Was macht man hier und was nicht?
Und um eine letzte Analogie zu bemühen: Die Unternehmenskultur lässt sich auch mit einer Art „Kraftfeld“ vergleichen, das auf jede:n Teilnehmer:in der Organisation wirkt.
Jeder, der schon einige Jahre in diesem „Kraftfeld“ einer Kultur arbeitet, weiß , „wie der Hase läuft“, z.B. dass es nicht weiter dramatisch ist, wenn man ein paar Minuten später in ein Meeting kommt oder es für einen Anruf spontan und vorzeitig wieder verlässt – solange es zum Nutzen des Kunden ist.
Als neue:r Mitarbeiter:in jedoch braucht es seine Zeit, bis man das mit dem Hasen wirklich verstanden hat.
Um „die Neuen“ dabei zu unterstützen, gibt es viele Ansätze, z.B. die Mentorschaft eines erfahrenen Kollegen. Oder man versucht die Unternehmens-Kultur explizit zu machen, z.B. in der Form einer Kultur-Beschreibung oder eines „Mitarbeiter-Handbuchs“, das als eine Art Landkarte für Neuankömmlinge sehr nützlich sein kann..
Diese Tage wurde das „Mitarbeiter-Handbuch“ des E-Autobauers Tesla von Business Insider US geleakt.
Vorab: Nein – das soll kein Best Practice im Sinne „Genau so geht’s“ sein. Aber man kann sich recht gut daran reiben und schauen, was man daraus für eine Kulturbeschreibung des eigenen Unternehmens lernen kann.
//1 Der Titel „The Anti-Handbook Handbook“
Das macht ja schon einmal neugierig, oder?!
Nicht „Die 35 Goldenen Regeln unseres Unternehmens“
Nicht: „Unser Mitarbeiter-Handbuch“
… sondern das „Anti-Handbuch Handbuch“. Und dies ist nicht nur ein Eye-Catcher, sondern Tesla füllt dies auch mit Inhalt:
„Wenn du ein traditionelles Mitarbeiter-Handbuch erwartest, dass voll von Richtlinien und Regeln ist, wirst du es hier nicht finden. Richtlinien und Regeln zeigen dir auf, wo die Grenze ist – sie zeigen dir, wie schlecht deine Leistung sein kann, bevor man dir die Tür zeigt. Das sind nicht wir.“
Das ist Öl auf die Mühlen unseres Denkwerkzeugs „Mehr Prinzipien – weniger Regeln“. Im Absatz über „Vertrauen“ zum Beispiel geht es nicht um Gebote und Verbote, sondern um Prinzipien: „Jeden Tag das Richtige tun.“
Nun mag das vielleicht noch etwas schwammig erscheinen, aber das liegt in der Natur von Prinzipien, denn sie sollen kontextunabhängig und universell gelten und dem Mitarbeiter die Entscheidung überlassen, was denn nun gerade das Richtige ist.
//2 Der Umfang
Nicht 100 Seiten, nicht 10 Seiten – auf kaum vier Seiten hat der US-E Autobauer seine Unternehmenskultur festgeschrieben. Kein schlechter Ansatz nach dem Prinzip: Weniger ist manchmal mehr.
//3 Die Vision
„Wir sind Tesla. Wir verändern die Welt. Wir sind bereit, alles neu zu denken.“
Mit diesen Worten beginnt das Mitarbeiter-Handbuch des innovativen E-Auto-Herstellers. Einerseits frech und groß genug für eine Vision – andererseits tauglich, um als Leitfrage für jeden noch so kleinen Handgriff zu dienen: Bin ich bereit, diesen Prozess, dieses Design, diesen Konflikt neu zu denken?
//3 Die Werte
Bemerkenswert finde ich die Darstellung der Unternehmenswerte „Some of our high Standards“ und deren Verbindung zueinander.
Ergebnissorientierung
Man durfte schon vermuten, dass eine leistungsorientierte Arbeitsmoral bei Tesla einen hohen Stellenwert einnimmt.
Vertrauen („Trust“)
Kaum ein Unternehmen würde von sich behaupten, es würde keinen Wert auf Vertrauen legen. Ist das also wieder eine dieser „Selbstverständlichkeiten“, die kaum das Papier wert sind, auf die es gedruckt ist? Ich meine „Nein“. Denn man ist sich bei Tesla wohl bewusst, dass dieses Vertrauen auch missbraucht und Verantwortlichkeit ignoriert wurde.Das erinnert mich an einen Satz eines Stuttgarter Unternehmers: „Ich weiß, dass mich 10% der Menschen beschei…., ich weiss nur nicht welche. Aber ich bin nicht bereit, wegen diesen 10 Prozent mein Menschenbild und all unsere Führungspraktiken zu Lasten der 90% ändern.„
TRUST
We give everyone who joins our team a lot of trust and responsibility. We operate withe the assumption that everyone will do the right thing, including you. The truth is some people have violated this trust or ignored their responsibilities. We won’t change our approach because of the few who have let us down. Instead, we let them go-
The Anti-Handbook Handbook
Kommunikation
Hier wird Tesla richtig pragmatisch. Schluss mit dem „Silo-Denken“. Hier scheint kein Raum für Dienst- und hierarchisch vorgegebene Kommunikationswege zu sein. Wenn es darum geht ein Problem zu lösen – sprich mit dem, der dir helfen kann, das Problem zu lösen.
Du kannst mit deinem Manager sprechen, mit dem Manager deines Managers, mit VPs anderer Abteilungen und du kannst sogar mit Elon selbst sprechen – solange es darum geht, ein Problem zu lösen, das den Unternehmenserfolg blockiert.
The Anti-Handbook Handbook
Selbstverantwortung
Selbstverantwortung zieht sich – neben „Ergebnisorientierung“ – wie ein roter Faden durch das „Anti-Handbook“: Der Appell ist klar: „Fühle Dich zuständig. Mach das Richtige richtig. Warte nicht, bis Dich jemand informiert.“
(aus: Job Duties)
Es ist in Deiner Verantwortung, zu verstehen, was man von Dir erwartet. […] wenn Dir irgendetwas unklar ist – frage nach.
„Das hat mir niemand gesagt“, ist eine Entschuldigung, die bei uns nicht zieht.(aus: Goals and Feedback)
Wenn Du irgendwo etwas siehst, dass wir verbessern können, sprich darüber, auch wenn es außerhalb Deines Verantwortungsbereiches liegt.//Mein Resümee:
… lautet::
- Ein derartiges „Handbuch“ – besonders für neue Mitarbeiter:innen ist sinnvoll, da es schnell ein erstes gutes Gefühl über die Kultur der Organisation vermittelt, in der ich gerade ankomme.
- Weniger ist mehr: Besser nur drei Seiten als 30 Seiten. (… ich weiss, das ist so richtig Arbeit.)
- Weniger Kernprinzipien statt vieler Regeln: Dies stärkt das „SelberDenken“ und die Selbstverantwortung der Mitarbeiter.
- Eine klare Vision im Sinne von: „Warum sind wir hier?“ richtet den Fokus auf das Wesentliche.
- Eine gute Balance zwischen abstrakten Prinzipien und Werten und konkreten Handlungsanweisungen macht Ihr „Mitarbeiter:innen-Handbuch“ rund.
DISCLAIMER
Nochmals: Es geht mir nicht darum, Tesla oder das Anti-Handbook Handbuch als Best-Practice darzustellen. Best Practice im Sinne eines naiven „Das ist toll – wir kopieren das mal.“ ist zu langsam für unsere dynamischen und komplexen Umwelten.
Es ging mir bei diesem Artikel darum, Sie zu inspirieren: Wie könnte so etwas in unserem Unternehmen aussehen?