Beschleunigungsfallen in einer volatilen und immer komplexer werdenden Welt
Die Wettbewerbsverschärfung und die Veränderungsdynamik unserer Zeit führen zu der berechtigten Annahme, dass eine schnelle und kontinuierliche Umsetzung von notwendigen Anpassungsleistungen oder Veränderungen zur entscheidenden Fähigkeit wird, auch in Zukunft weiterhin erfolgreich zu bleiben. Die meisten Veränderungsvorhaben beziehen sich dabei auf Reorganisations- und Effizienzsteigerungsprojekte, Innovationsinitiativen und Weiterbildungsprogramme usw. All diese Maßnahmen können letztlich in dem Begriff Changemanagement zusammengefasst werden.
- Haben Sie auch schon Veränderungen in Ihrem beruflichen Umfeld erlebt?
- Wie zufriedenstellend ist das für Sie gelaufen?
- Welche Vorhaben können aus Ihrer Sicht als nachhaltig umgesetzt und damit erfolgreich verzeichnet werden?
Die Fülle an Literatur zu diesem Thema weist auf eine fast schon unübersichtliche Vielzahl unterschiedlicher Konzepte, Philosophien und Umsetzungsarchitekturen hin. Jeder Autor rühmt dabei natürlich sein eigenes Denkmodell und seine eigene Herangehensweise.
Allerdings verwundert die Aussage namhafter Experten, dass mehr wie zwei Drittel aller Changemanagement Projekte nicht nachhaltig umgesetzt werden. Das ist schon sehr verblüffend. Nach meinen langjährigen Beobachtungen liegt das aber nicht nur an der Art, wie man ein Veränderungsvorhaben initiiert und steuert, sondern an den Auswirkungen vieler gleichzeitig stattfindender Veränderungsvorhaben. Eine Vielzahl von gleichzeitig stattfindenden Veränderungsinitiativen birgt bei schlechter Synchronisation und mangelnden Regenerationsphasen nämlich die Gefahr, dass die Organisationin die sogenannte Beschleunigungsfalle gerät. Damit sind Überforderungen und Misserfolge vorprogrammiert.
Dynamik der Beschleunigungsfalle
Die ständige Steigerung von Anpassung und Veränderung wird mittlerweile in vielen Unternehmen und Behörden also zu einer belastenden Normalität. Belastend deswegen, weil diese Vorhaben neben dem laufenden Tagesgeschäft Aktivitäten nach sich ziehen, die für betroffene MitarbeiterInnen einen nicht unerheblichen Zusatzaufwand, also eine „on top“ Leistung, bedeuten. Ein kontinuierlicher Mengenzuwachs ohne intelligente Steuerung wie Priorisierung, Verbesserung der Selbstorganisation oder effizientere Prozesse usw. bedeutet jedoch automatisch Zeitdruck und mehr Stress. Dieser die Arbeitswelt beschleunigende Faktor führt also zunächst nicht automatisch in eine nachhaltige Leistungssteigerung, sondern die erlebten Dauerbelastungen bewirken unerwünschte Dauererschöpfungen.Wenn also Kapazitätsgrenzen erreicht werden und es keine Verschnaufspausen mehr gibt, manifestieren sich in der Folge Überbelastungen einzelner oder weiter Teile der Organisation. Frustration und Demotivation, innere Kündigung und ein steigender Krankenstand sind die beklagenswerten Auswirkungen. Damit sinkt wiederum die Leistungsfähigkeit jeder Organisation, was ja eigentlich durch die angestrebte Veränderung verhindert werden wollte.Stellen jedoch die Veränderungsvorhaben kein reines Mengenthema, sondern ganz neue Herausforderungen für die Betroffenen dar, wie das beispielsweise bei der Einführung neuer Systeme, Abläufe und Prozesse der Fall ist, sind Einlernzeiten, in denen das Neue in Ruhe erlernt und gefestigt werden kann dringend notwendig. Da jedoch in vielen Fällen das operative Tagesgeschäft dafür nicht zurückgefahren wird und demnach alles gleichzeitig geschehen muss, führt dieser Umstand zu einer sogenannten Mehrfachbelastung. Dauerbelastungen, Überbelastungen und Mehrfachbelastungen steuern also das Schiff in die permanente Überforderung, statt in eine erhoffte Zone der Optimierung und Leistungssteigerung.
Die so entstandenen Frustrationen und Überforderungen lassen in den meisten Fällen dann wiederum das Vertrauen der MitarbeiterInnen in die Führung sinken, welches dann zu einer Reduzierung des Engagements für weitere Veränderungsvorhaben führt.
Die typischen Antreiber der Beschleunigungsfalle sind also:
- mangelndes Bewusstsein für Auswirkungen von Entscheidungen an der Basis
- „keine Zeit“, in Ruhe Themen und Projekte in ihrer Wirkung zu durchdenken und zu entwickeln
- fehlende Synchronisation der Veränderungsvorhaben in den einzelnen Geschäftsbereichen
- permanentes Multiprojektmanagement und permanentes Changemanagement
- fehlende Verschnaufspausen und Routinephasen, die letztlich für Stabilität sorgen
- Mangelndes Zugeständnis, dass erst durchdachte Lern- und Reifephasen die Fähigkeiten auf ein erwünschtes Leistungsniveau heben können
Beschleunigungsfallen vermeiden
Wenn also Entscheider und Führungskräfte aus wirtschaftlichen Gründen Veränderungsvorhaben initiieren, müssen zur Sicherstellung nachhaltiger Ergebnisse oft erst die richtigen Voraussetzungen geschaffen werden. So, wie jeder Motor regelmäßigen Ölwechsel und von Zeit zu Zeit sogar umfangreiche Inspektionen braucht, benötigen Menschen, Behörden und Unternehmen ebenfalls „regenerative Inspektionen“.Diese Inspektionen dienen als Standortbestimmungen zunächst einer Überprüfung des Ist-Zustandes in den betroffenen Bereichen der Organisation. Dabei werden der aktuelle Workload, die Arbeitszufriedenheit, der Reifegrad in den Arbeitsabläufen oder die Prozessflüsse auch mit den Prozesspartnern reflektiert. Die dort erarbeiteten Ergebnisse bilden also die Grundlage zur Entschlackung unnütz gewordener Prozesse, Projekte oder Themen, sowie der Reduzierung aufgeblähter Bürokratien. Zeitersparnisse, Effizienzen und andere Optimierungen bilden also überhaupt erst die Voraussetzungen, neue Aufgaben oder zusätzliche Projekte intelligent und nachhaltig umsetzen zu können!
Da nicht jeder Mengenzuwachs oder jede neu zu erwerbende Kenntnis automatisch fehlerfrei und in hoher Qualität bewältigt oder umgesetzt werden kann, benötigen Organisationen gut auf den normalen operativen Alltag abgestimmte Lernpläne und „Trainingsphasen“. Kalkulieren Sie deswegen neben dem üblichen operativen Tagesgeschäft Trainingszeiten zum Erwerb neuer Fähigkeit mit ein. Nachfolgende Routinephasen sichern dann das Verankern und festigen. Nur diese Routinephasen sogen für die wichtige ökonomische und soziale Stabilität. Hier eignet sich als Sinnbild die Bambuspflanze: sie ist extrem leicht, elastisch und den Harthölzern ebenbürtig. Sie wächst schnell, hat aber dann eine Ruhe- und “Verdichtungsphase“, die die sogenannten Knoten hervorbringt, welche für die nötige Stabilität sorgen. Der Bambus hat also eine perfekte Balance zwischen Bewegung und Entwicklung, sowie Ruhe und Stabilität.
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